Foto: Grit Dörre
Die Magie der hellen, klaren Knabenstimmen, der reine Chorgesang und die Leidenschaft der jungen Sänger formen einen Klang, dem sich niemand entziehen kann. Ein Klang, der die Herzen berührt. Mit seiner Musik verbindet der Dresdner Kreuzchor Tradition und Moderne. Er pflegt das kulturelle Erbe seiner Heimat, füllt es mit Leben und führt es in unsere Zeit.
Seit hunderten von Jahren bewegt der Dresdner Kreuzchor mit seinem Gesang die Menschen, seit hunderten von Jahren strömen sie in die Dresdner Kreuzkirche am Altmarkt, um die Kruzianer singen zu hören. Hier, im Zentrum der Stadt, liegen die Wurzeln des Knabenchores, der seit über 800 Jahren das kulturelle Leben in Dresden prägt.
Damals wie heute ist es das Kirchenjahr, das den Takt für die Gottesdienste, Vespern und Metten der Kruzianer vorgibt. So wird der Brauch der Vesper, einer etwa einstündigen kirchlichen Feier, seit 1371 ununterbrochen gepflegt. Auch die Mette am ersten Weihnachtsfeiertag ist ein beliebter Brauch: Früh am Morgen stehen die Menschen Schlange vor der Kreuzkirche, um das Mettenspiel der Kruzianer zu erleben.
Der Dresdner Kreuzchor ist eine lebendige Gemeinschaft, offen auch für Knaben, die keiner Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören. Längst ist der Chor nicht nur in Dresden ein gern gesehener Gast: Mit ihren Konzerten tragen die Kruzianer ihre Musik in die ganze Welt.
Foto: Dresdner Kreuzchor
Die Anfänge des Dresdner Kreuzchores sind nicht überliefert, jedoch nimmt man an, dass seine Geschichte mit der Gründung der Stadt Dresden im Jahr 1216 beginnt. Der Chor gehörte zur Dresdner Kreuzkirche, damals eine bekannte Wallfahrtskirche. Als 1539 die Reformation in Sachsen eingeführt wurde, weihte man die Kreuzkirche in einem feierlichen Gottesdienst zur evangelischen Hauptkirche. An diesem Gottesdienst wirkte auch der Dresdner Kreuzchor mit.
Zur Reihe der 28 Kreuzkantoren, zählen auch berühmte Komponisten wie Gottfried August Homilius (Kreuzkantor 1755 bis 1785). Der Kirchenmusiker war musikalischer Direktor der drei Dresdner Hauptkirchen. Zu seiner Zeit galt er als der wichtigste Repräsentant evangelischer Kirchenmusik.
Neben ihren kirchlichen Aufgaben haben die Kruzianer auch in der Vergangenheit weltliche Konzerte gesungen, teilweise unter der Leitung berühmter Komponisten wie Robert Schumann und Richard Wagner. Um 1717 beauftragte der in Dresden lebende italienische Komponist Antonio Lotti die Chorknaben, in der Oper mitzusingen. Heute singen die Kruzianer regelmäßig in Inszenierungen der Dresdner Semperoper.
1920 reiste der Dresdner Kreuzchor zum ersten Mal ins Ausland, nach Schweden und ein Jahr später in die Niederlande. Inzwischen fahren die Kruzianer als Kulturbotschafter der Landeshauptstadt Dresden mehrmals im Jahr zu nationalen und internationalen Tourneen und Gastspielen.
Mit dem Amtsantritt von Kreuzkantor Rudolf Mauersberger begann 1930 eine prägende Zeit für den Dresdner Kreuzchor. Rudolf Mauersberger begründete die Tradition der Christ- und Ostermette, die bis heute fester Bestandteil der Weihnachts- und Osterfeste in der Dresdner Kreuzkirche sind.
Nach dem verheerenden Angriff auf Dresden am 13. Februar 1945 versammelte Rudolf Mauersberger den Dresdner Kreuzchor neu. Sein Werk „Wie liegt die Stadt so wüst“ führte er mit den Kruzianern im Rahmen der ersten Kreuzchorvesper nach dem Krieg am 4. August 1945 in den Ruinen der Dresdner Kreuzkirche auf. Seitdem singt der Chor das Stück jedes Jahr zum Gedenken an den 13. Februar.
Nachfolger im Amt des Kreuzkantors wurde Martin Flämig (1971 bis 1990). Obwohl der Chor 1971 verstaatlicht wurde, gelang es ihm, den christlichen Geist des Dresdner Kreuzchores zu bewahren. Martin Flämig begründete die Tradition der Serenaden im Schlosspark von Pillnitz, die sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen.
Die Wendezeit führte zu großen Umbrüchen und Unsicherheiten. Der Dresdner Kreuzchor musste eine neue Organisationsstruktur finden. Schließlich wurde 1997 Roderich Kreile zum Kreuzkantor berufen, der das Amt bis 2022 innehatte. Kreuzkantor Roderich Kreile bewahrte das Erbe seiner Vorgänger und führte es in unsere Zeit. Neben dem klassischen Repertoire dirigierte er zahlreiche Uraufführungen. Unter seiner Leitung nahm der Dresdner Kreuzchor an Musikfestivals in Deutschland teil und erlangte internationalen Ruf durch seine Tourneen, vor allem nach Asien.
Mit einem Festakt in der Semperoper feierte der Chor 2016 sein 800jähriges Bestehen. In seiner Ansprache würdigte der damalige Kreuzkantor Roderich Kreile (1997 – 2022) das christlich-humanistische Menschenbild des Chores und betonte, welcher Geist den Dresdner Kreuzchor bis heute leitet: „Wir vermitteln und leben Werte, bei denen es um die Annahme des anderen und die Gleichwertigkeit aller Menschen geht“.
Nach einem umfangreichen Auswahlverfahren wurde der ehemalige Kruzianer und Leiter des Windbacher Knabenchores Martin Lehmann zum 29. Kreuzkantor seit der Reformation berufen. Im Rahmen einer Kreuzchorvesper wurde Martin Lehmann am 24. September 2022 feierlich ins Amt eingeführt.
Foto: Dresdner Kreuzchor
Neben Gottesdiensten, Metten und Vespern singt der Dresdner Kreuzchor Konzerte in der Kreuzkirche. Diese werden durch das Kirchenjahr bestimmt und haben mit dem Weihnachtsoratorium und der Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach sowie dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms ihre traditionellen Konstanten.
Doch auch aus weltlicher Chorsinfonik speist sich das Repertoire des Chores, vor allem aber natürlich aus dem so reichhaltigen wie stilistisch differenzierten Fundus der A-cappella-Literatur. Von der Gregorianik bis zu Uraufführungen zeitgenössischer Werke reicht das Spannungsfeld bei den Auftritten in Konzertsälen und Kirchen in Deutschland und der Welt. Komponisten wie Schütz, Bach, Brahms, Mendelssohn prägen Qualitätsbewusstsein, Stilempfinden und Interpretationsweisen des Dresdner Kreuzchores genauso wie unbekannteres, neu zu entdeckendes Repertoire. In den neun Jahren seiner Zugehörigkeit zum Dresdner Kreuzchor wird damit jedem Jungen eine umfassende, breit aufgestellte musikalische Bildung vermittelt.
Foto: Martin Jehnichen
Bis in die Gegenwart zählt das Amt des Kreuzkantors zu den ehrenvollsten und renommiertesten Ämtern der evangelischen Kirchenmusik. Als 29. Kreuzkantor nach der Reformation wirkt seit 2022 Martin Lehmann.
Als Kruzianer erhielt Martin Lehmann, geboren 1973 in Malchin, bereits während seiner Schulzeit eine umfassende musikalische Ausbildung. Ausgezeichnet mit dem Rudolf-Mauersberger-Stipendium studierte er Chorleitung an der Musikhochschule „Carl Maria von Weber“ Dresden bei Prof. Hans-Christoph Rademann. Ihm stand Lehmann während des Studiums als künstlerischer Assistent des Dresdner Kammerchors zur Seite und nahm einen Lehrauftrag an der Dresdner Musikhochschule wahr. Sein Aufbaustudium schloss Lehmann in den Fächern Chorleitung und Orchesterdirigieren mit Auszeichnung ab.
Die Arbeit mit Chören prägte seine Laufbahn. So gründete Martin Lehmann 1995 den Kammerchor „Cantamus Dresden“, in dem bis heute ehemalige Kruzianer mitsingen. In den Jahren 2001 bis 2011 leitete er verschiedene Chöre in Leipzig und Wuppertal und übernahm 2012 die künstlerische Leitung des Windsbacher Knabenchores.
Zu seinem Repertoire gehören neben den großen oratorischen Werken von Bach, Händel, Mozart und Mendelssohn auch geistliche und weltliche A-cappella-Chormusik aller Epochen. Seine umfangreiche Arbeit ist in zahlreichen CDs, Rundfunk und Fernsehaufnahmen dokumentiert. Dabei wagte sich Martin Lehmann mit den Windsbachern bei der Ersteinspielung frühbarocker Musik des Nürnberger Komponisten Johann Staden (April 2015) auch auf neues Terrain. Die jüngste Aufnahme ist das Album Water & Spirit, geistliche A-cappella-Musik auf fünf Jahrhunderten, mit Percussionist Simone Rubino.
Als Chorleiter arbeitete Martin Lehman mit zahlreichen renommierten Orchestern wie dem Freiburger Barockorchester, dem Dresdner Barockorchester, den Deutschen Kammer-Virtuosen Berlin, der WDR Big Band, dem Concerto Palatino, dem Ensemble 1704 Prag und der Akademie für Alte Musik Berlin zusammen.
Mit dem Windsbacher Knabenchor nahm Martin Lehmann regelmäßig an Festivals teil und gastierte an großen deutschen Konzerthäusern (Alte Oper Frankfurt, Konzerthaus Berlin, Elbphilharmonie, Thomaskirche Leipzig, Dresdner Frauenkirche, Herkulessaal München, Festspielhaus Baden-Baden).
Hinzu kamen Reisen ins europäische Ausland, in die USA, China und Indien, während derer er in internationalen Spielorten wie dem Concertgebouw Amsterdam, dem Palau de la Música Catalana in Barcelona, dem Oriental Art Center Shanghai sowie der Sixtinische Kapelle und dem Petersdom in Rom gastierte.
Im Mai 2017 wurde Lehmann zum Kirchenmusikdirektor (KMD) ernannt. Mit der Auszeichnung würdigt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Lehmanns Verdienste um die Kirchenmusik durch seine Arbeit mit dem Windsbacher Knabenchor.
Im September 2022 trat Martin Lehmann die Nachfolge von Roderich Kreile an. Konzentrierte sich das Aufgabengebiet des Kreuzkantors in früheren Jahrhunderten maßgeblich auf die Leitung der liturgischen Dienste, so reichen die Aufgaben heute beträchtlich über die rein künstlerische Verantwortung hinaus. Als Leiter des Dresdner Kreuzchores obliegt Martin Lehmann auch die Funktion eines städtischen Intendanten.
Foto: Grit Dörre
Die künstlerische Ausbildung ist das Fundament des Dresdner Kreuzchores. Jeden Tag stehen Chorproben auf dem Programm, die vom Kreuzkantor und vom Chordirigenten geleitet werden. In den Proben werden die Werke für die kommenden Aufführungen einstudiert. Sie finden in unterschiedlichen Besetzungen statt: So gibt es zum Beispiel Registerproben für einzelne Stimmgruppen oder Proben für Kruzianer, die nach dem Stimmwechsel in den Männerchor integriert werden.
Alle Kruzianer erhalten Gesangsunterricht. Im Einzelunterricht wird die Stimme der Kruzianer ausgebildet und sie erwerben die stimmlichen, musikalischen und persönlichen Grundlagen für ihre Chorarbeit. Kruzianer, die solistisch auftreten, werden besonders gefördert.
Zusätzlich zum Gesangsunterricht erlernen die Kruzianer ein Instrument und werden in Musiktheorie unterrichtet. Wie an den Musikschulen können sie Abschlüsse der Unterstufe, der Mittelstufe und der Oberstufe ablegen.
Foto: Ilja Mess
Kruzianer sein – das ist viel mehr als das Singen. Die Kruzianer sind eine lebendige Gemeinschaft von Jungen und jungen Männern im Alter von 9 bis 19 Jahren. Sie leben im Alumnat, sie gehen zusammen zur Schule und verbringen gemeinsam ihre Freizeit. Damit diese Gemeinschaft funktioniert, übernehmen Kruzianer Verantwortung für ihren Alltag. Besondere Rituale werden seit hunderten von Jahren gepflegt und von Generation zu Generation weitergegeben. Wichtiger Teil dieser Traditionen sind die Ämter. So gibt es den Chorpräfekten, der dafür sorgt, dass die Konzerte und Auftritte reibungslos ablaufen. Er leitet die Gesänge im Speisesaal und darf bei den Proben assistieren. Der Hauspräfekt kümmert sich um alle Anliegen der Kruzianer und steht dem Choraktiv vor, das sich aus Vertretern jeder Klassenstufe zusammensetzt. Die Ratser sind dafür verantwortlich, dass alle Kruzianer in den Proben und Auftritten die richtigen Noten haben. Für die liturgischen Gewänder, die Kruzianer manchmal in besonderen Gottesdiensten tragen, sind die Kutti (Mehrzahl von Kuttus) zuständig. Sie organisieren auch die Auftritte der Kerzenknaben in der Kreuzkirche.
Die Bindung des Dresdner Kreuzchores an die Kreuzkirche ist eng. Kruzianer der Klasse 8, die sich konfirmieren lassen wollen, bekommen vom Pfarrer der Kreuzkirche Konfirmationsunterricht. Sie nehmen auch an der Konfirmandenfreizeit teil. Vorstellungsgottesdienst und Konfirmation finden gemeinsam mit den anderen Konfirmanden der Gemeinde in der Kreuzkirche statt.